Bauchtänzerinnen tauchen unvermittelt auf einer Dachterasse der Feuerwehr auf. Cheerleader wedeln plötzlich ihre Pompons vor dem Supermarkt umher. Ein Seniorinnenchor singt im verlasenen Stadion vom einfachen Frieden. Sportfechter duellieren sich im Wohngebiet. (…) Unter dem Label matthaei & konsorten verwandelt der Berliner Theatermacher Lukas Matthaei seit Jahren urbane Landschaften in Bühnen, auf denen dort heimische Akteure auftreten. Mit vielen Weimarern zusammen entwickelte er jetzt theatrale Rundgänge durch drei Weimarer Stadtteile: durch soziokulturelle Biotope, Industriebrachen, Plattenbauviertel, Szenetreffs. Menschliche „Audioguides“ in Kostümen, aufgrund derer man sie als kommunizierende Röhren bezeichnen könnte, trugen Lebensberichte vor, die Weimarer über ihre vielfach gebrochenen Lebenswege vor und nach 1989 gaben. (…) Auf den Parcours durch Zeit- und Stadtraum wurde das Zentrum der Kultur- und Klassikerstadt Weimar gleichsam zur Peripherie. Von der Dachterrasse eines Hochhauses blickte man zum Beispiel über ein Plattenbaugebiet in Richtung der historischen Altstadt und hörte über Radios, wie Einwohner eben dort „das richtige Weimar“ verorteten, derweil Matthaeis Inszenierung uns ja doch fortwährend vom Gegenteil überzeugte.
(…) Durch diese und andere Produktionen gelingt es dem Festival, in einer nicht ganz unbekannten und nicht gerade einfachen Kulturstadt derart wirksam zu werden, dass auch das weite Land Kenntnis davon nimmt.
Michael Helbing, Theater der Zeit 10/2014