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Pathos sprechen (tanz)

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Tanzfabrik Berlin

Februar 2005:

Ein Lektüre/Bewegungs-Archiv  im offenen Setting eines Tanzraums, zwischen dessen Arbeitsplätzen sich die Tänzerin & eine blinde Leserin mit dem Publikum frei bewegen, so daß sich je nach eigener Position die Wahrnehmung der Textlandschaft in Verbindung mit Körper-, Bild- & Tonmedien verschiebt.

Vom Pathos sprechen, noch einmal. Große Gefühle, in denen das Subjekt sich wiederfindet, indem es sich verliert. Konstruktion, die ihren Bauplan offenbart & genau dadurch zu beeinflußen sucht. Pathos, das andere der Vernunft, der bloß rationalen Darlegung scheinbar. Oder deren Komplement, ohne dessen emotionale Dynamisierung keine bindende Überzeugung erreicht wird. Während der Fließtext, in “unsichtbarer” Punktschrift von der blinden Leserin Roswitha Röding hörbar gemacht, pathos entlang der Achsen “Raum”, “Zeit”, “Zeichen” erörtert & darin Persönliches mit Historischem, Wissenschaftliches mit Poetologischem zur eigenen Arbeit verschränkt, tritt die Tänzerin in Dialog zur “blind/wissenden” Theorie. Die Themen des Textes werden in Raum-Relationen & Bewegungspattern übersetzt, wobei die ready-made-sculptures der Zuschauer-Körper zunehmend in die Choreographie integriert & von ihr abgebildet werden. Bis Tänzerin & Leserin schließlich zu einem eigenen Duo finden. Für PATHOS SPRECHEN begegnen sich eine blinde Leserin & eine Tänzerin bzw. Schauspielerin mit den Besuchern in einem offenen Setting, das theoretisches mit praktischem Handeln verbindet: Wer spricht im Fall des Pathos – welches ICH wird aktualisiert, wenn Pathos spricht? Welche Sprachen besetzen die Körper, welche Erinnerungsspuren haben ihre Rillen in die Sinne gezogen? Und wo schließt sich die Spannung vom Eigensten zum Allgemeinsten kurz? Woher überhaupt diese Sehnsucht danach? An der Stelle eines “Vortrags-Formats”, das in eindimensionalem Sprechen eine Position des Wissens zu behaupten sucht, eröffnet PATHOS SPRECHEN als Verbindung von Lecture-Performance & Installation einen jeweils ortspezifischen Denkraum: Der “Fließtext”, den die blinde Leserin vorträgt, umkreist Theorien des Pathos mit literarischen & persönlichen Erinnerungen, entlang der Grundvektoren von Tanz/Theater – Raum, Zeit, Zeichen. In den ortsspezifischen Konkretionen gewinnt dieses Hintergrundprogramm der eigenen künstlerischen Arbeit jeweils anderes Profil. Und vielleicht ist PATHOS SPRECHEN auch eher schon Datenbank denn Archiv, zumindest ein Weg in diese Richtung. Ein Modell, das ebenso das produzierende wie das beobachtende Subjekt erfaßte und dessen Modi sich grundlegender unterschieden, als gegenwärtige Vorstellungen dies immer noch vorauszusetzen scheinen. Die heutigen Bedingungen der Produktion von Pathos, ebenso wie dessen Rezeption, wären demnach gänzlich andere, als diejenigen der Zeiten, an die wir denken, wenn von Pathos die Rede ist. (Die ebenso kurzgreifende, wie das Falsche bestätigende, selbstverleugnende Wiederholung von hohl Pathetischem ist es sicherlich nicht.) Und vielleicht tendiert Sprechen über Pathos in dem Sinne zu Vergangenem – schlicht weil das Gegenwärtige immer noch erfahren werden will, bevor darüber zu sprechen wäre. Die akustischen Bruchstücke der Musik-Einspielungen ziehen, grob gesagt, eine historische Achse durch die anderen Ebenen hindurch, erzählen vonpathos-Produktionen & Verwerfungen, in deren Linie wir heute stehen: – Bach, Matthäus-Passion: Wir setzen uns mit Tränen nieder; Herreweghe – Monteverdi, Orfeo: Auftritt des Boten; Harnoncourt – Maria Callas, Liebestod Tristan & Isolde, Athen-Konzert live 1957 – Pierre Bastien, Musiques Paralloidres + Görings Stalingrad/Sparta Rede Januar 1943 – per Texteinblendungen: Perotin, Principes; Bohuslav Martinu, Mahnmal für Lidice; Luigi Nono, Canti di vita e d’amore; Arnold Schönberg, Ein Überlebender aus Warschau; Karl Amadeus Hartmann, Versuch eine Requiems – Helmut Schmidt, Radio-Ansprache im “heißen Herbst” + Allan Ginsberg-Lesung “Howl” – Istvan Marta, Doom. A Sigh – George Crumb, Black Angels – Mikael Stavöstrand, reduce, 2001 – Squarepusher, go plastic, 2001 – Ernst Bloch, liest & kommentiert aus dem “Prinzip Hoffnung” 1960

PerformanceLecture von & mit J. L. Matthaei, Friederike Plafki/Judith van der Werff, Roswitha Röding; Josh Martin, Bodo Herrmann