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DIE SUMPFGEBORENE – 4 PROBEBOHRUNGEN

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4 probebohrungen + 1 barocknovela

September 2020 – Berliner Stadtraum

Der Barock ist ein Phantasma: Im September rückt das Ensemble matthaei & konsorten mit dem ersten Teil der interdisziplinären Performance „Die Sumpfgeborene“ zu szenischen Entdeckungsreisen an die Ränder der Stadt aus, um abseitige Orte Berlins mit barockem Material zu durchdringen. Zur Premiere, die im November in den Sophiensaelen stattfindet, eignet sich das freie Theaterensemble die Epoche dann auf der Bühne mit Haut und Haar an.
Berlin, aus Sumpf geboren und nach ihm benannt, begann im 17. Jahrhundert langsam zu dem zu werden, was es heute ist. Vor der opulenten Kulisse des aktuellen Stadtbilds beackert der Regisseur Lukas Matthaei mit seinem Team die Motive der längst vergangenen Zeit und untersucht sie auf ihre Gegenwartstauglichkeit: die Lust an Pracht und Fülle, die Bewunderung von Technik und Kulisse und das Bedürfnis nach Symmetrie und Täuschung.
Mit Musik, Text, Expertenwissen und motivischem Reichtum bringt das Ensemble die morastige Rückseite des Barock zunächst in den szenischen Exkursen ans Licht und wappnet sich so für die bevorstehende Premiere im theatralen Rahmen.

I. VOM STAUB DER STADT IN HEINERSDORF

Baggerballett mit Vanitas-Motiven & Close Ups auf die Falten der Seele

In den Hallen des Baustoffrecyclings am Rande der Stadt werden Fassaden, Büros & Wohnungen zu Brocken & Staub zerschlagen, um neuen Stoff für die Innenstadtträume ewig wachsender Immobilienwerte zu gewinnen. Nachdem Leibniz die Seele als Haus ohne Fenster beschrieb, projizieren wir individuelles Kopfkino aus dem Wimmelbild der Stadt ins Halbdunkel der riesigen Halle. Drei Nüsse für Aschenbrödel überlagern sich mit Bildern der barocken Komponistin & Courtisane. In den Dunkelkammern der libertinären 00er Jahre steigen Erinnerungen an die verbrannten Haare des Vaters auf.

II. GOLDMACHEREI IN MITTE

Von Margots Guerilla zum Risikokapital hinterm Altar

Brandenburg besetzte im Barock seine erste Kolonie im heutigen Ghana, an der sogenannten „Goldküste“. Während versklavte Menschen von hier aus nach Amerika verschleppt wurden, ließen sich die Planer der Ausbeutung & Kriegsgewinnler prächtige Gruften des Schlossarchitekten Schlüter bauen. Drei Jahrhunderte später schickten die Befreiungskämpfer der ehemals deutschen Kolonie Namibia 400 Kinder in die DDR, um sie vor Kriegsmassakern zu schützen & zur kommende Elite des Landes auszubilden. Als das eine Land sich auflöste & das andere unabhängig wurde, fanden sich diese Jugendlichen ausgesetzt in der fremden Heimat – eine hat ihren Weg zurückgefunden.

III. EINE KANTATE AUF BRUTALISMUS & BIOPOLITIKEN

Welfare Baroque meets Star Destroyer : „Mein Herze schwimmt im Blut“

Dieses Architekturdenkmal erinnert an ein Kriegsschiff, das der Death Star aus „Star Wars“ hier geparkt hat. Das bewahrheitete sich tatsächlich für unzählige Tiere im Innern des Baus, um so das Leben der Menschen zu verlängern. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir die emotionalen Erreger von Schuld & Reue, die uns aus barocken Kantaten befallen können. Während magische Sprüche von Berliner Alchimisten & „Jackass“-Experimente von MTV die Grenze zwischen Naturwissenschaft & Spektakeleffekten auflösen.

IV. SONNENRÄDER AUFM RIESELFELD

Die Sedimente der Stadt als Theatrum Ceremoniale

In diese menschengemachte Landschaft weit vor den Toren der alten Stadt hat Großberlin 100 Jahre lang Gülle & Krankheitserreger aus der Innenstadt hinausgepumpt, worauf Obst & Gemüse gepflanzt wurden. Später sind Wessis zum Sonntagsspaziergang in die Idylle gefahren, um den ungewohnt weiten Horizont zu genießen. Wir evozieren hier das Genre der höfischen Feste des Barock, die sich teils über mehrere Tage erstreckten mit ihrem schier unendlichen Ressourcen-aufwand, nicht endenden Speisenfolgen & ausufernden Berichten – die mindestens ebenso wichtig waren wie die Feier selbst.

 

Von & mit André Nittel, Bati Nehoya, Volker Sobottke, Anne Welenc, Frank Willens

Konzept, Regie: Jörg Lukas Matthaei| Dramaturgie: Sofie Neu & Milena Kipfmüller | Musikalische Leitung, Komposition: Klaus Janek | Ausstattung, Kostüm: Michael Gaessner | Produktionsleitung/Dramaturgische Mitarbeit: Sarah Stührenberg | Mitarbeit Ausstattung: Lotti Maurar | Technik: Chris Umney | Dokumentation: Florian Krauss | Fotografie: Merlin Nadj-Torma

Eine Produktion von matthaei & konsorten in Koproduktion mit SOPHIENSÆLE, freundlich unterstützt durch Theater Thikwa.

Gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und dem Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien