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BAILE BASSENA

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Wiener Festwochen, into the city, 2019

Österreich und Mexiko verbindet eine spezielle Geschichte. So gab sich 1910, im Anfangsjahr der Mexikanischen Revolution, eine genossenschaftliche Arbeitersiedlung in der niederösterreichischen Stahlstadt Ternitz selbst den Namen „Mexiko“. War dies ein Akt der Solidarität mit Emiliano Zapata und Pancho Villa, den Helden der Revolution? Eine Projektion der Bewohner*innen aufs ferne Land in Südamerika, dass es bald auch hier, bei ihnen, zu einer wahren Revolution von unten käme, die Land und Besitz neu verteilen würde?

Wie es dazu kam, kann heute niemand mehr sagen. Doch für alle war klar: Die Arbeitergasse ist Mexiko!

Später fand sich einer der Arbeitersöhne „Mexikos“ als Gardesoldat zu geschlossenen Bällen ins Palais Palffy am Josefsplatz beordert – Walzer tanzend in den Armen junger mexikanischer Frauen aus wohlhabenden Familien. (Die Gouvernanten am Rand streng auf die Einhaltung der Schicklichkeit achtend.) Wobei er nicht ahnte, daß er das Klischee erfüllte, welches die Höhere Gesellschaft Mexikos seit den kurzen Jahren des unglücklichen Maximilians von Österreich pflegte.

Daß er selbst dann seine Hochzeitsreise nach Acapulco und zu den Pyramiden unternahm, mag wenig wundern. Wo doch auch Karl Spiehs, der legendäre Produzent der Wörthersee-Filme aus Ternitz stammt und seine wilde Karriere u.a. mit „Der letzte Ritt nach Santa Cruz“ begründete – einem Strudelwestern mit dem jungen Klaus Kinski, für den Gran Canaria als das südamerkanische Revolutionsland herhalten mußte.

Lukas Matthaei & Mariel Rodriguez nehmen diese und andere wundersame Projektionen zum Anlaß, um für die Wiener Arbeitergasse ihren BAILE BASSENA einzurichten – eine Serenata, eine Huldigung an die vielfältige Straße mitten in Margareten.

Die Besucher*innen finden sich auf einem Entdeckungsparcours entlang heutiger Arbeitsverhältnisse nach dem Verschwinden der Arbeiterklasse: Statt proletarischer Revolutionsfolklore begegnen ihnen prekäre Widerständigkeiten, Erinnerungen ans versunkene Rote Wien mischen sich mit der Sehnsucht nach einer neuen Sprache. Die echte Forderungen für kommende Gesellschaften formuliert, statt reaktionären Versorgungsversprechen.

Die Bilder von „Mexiko“ entlang des Wegs peilen ein fernes El Dorado an und loten unsere heutige Distanz zur besten aller Welten aus. Sie überschreiben die folkloristische Maschinerie, die sich alles Fremde aneignet und vereinfacht, aber auch historische Fakten und kulturelle Selbst-Entwürfe transportiert.

BAILE BASSENA feiert das emanzipatorische Potential dieser schrägen Projektionen: Kollektive Imaginationen des „Anderen“ – dessen, was noch nicht, nicht hier ist. Woraus konkrete Vorstellungen von einem besseren Leben in gesellschaftlichem Wandel erwachsen.

Vielleicht bieten die bonbonfarbenen Kostüme der stadtdurchdringenden Lieferdienste ja den migrantischen Einstieg in die inländische Gesellschaft, den früher die Arbeitsplätze der Schwerindustrie boten?

Zum Abschluß am 6. Juni jedenfalls gibts den großen Ball – mit Mariachi-Band auf dem Einsiedlerplatz, der Opernsängerin mit Revolutionsgut im Friseursalon und Eintanzen im Seniorenheim!