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Presse : Watching Me Watching You

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IN SÜNDHAFT PARADIESISCHER NACKTHEIT

“Watching me Watching you” eröffnet das Festival “Spiele ohne Grenzen” im Bonner Theater im Ballsaal – Mata Sakka aus Griechenland ist das weiche Kraftzentrum der Aktionen: “I can be so soft”

Von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Bonn. “Watching me Watching you” des internationalen Kollektivs “Camelin/Matthaei/Sakka” ist ein sehr sinnlicher, spielerisch heiterer Essay über das Theater und die Zuschauer. Das Stück mit seiner filigranen Ästhetik war deshalb prädestiniert für die Eröffnung des ersten Bonner Ballsaal-Festivals “Spiele ohne Grenzen”. (…)

Am Anfang von “Watching me Watching you” fächelt eine junge Frau den Zuschauern mit einem Handtuch fröhlich frische Luft zu. Dann herrscht atemlose Walzerseligkeit, bei der die drei auf der Bühne sich schnell aller Kleidung entledigen. Sie sehen und fühlen sich als Einzelne in ihrer sündhaft paradiesischen Nacktheit – und werden gesehen: von einem früheren oder imaginierten Publikum auf einer großen Projektionsfläche, vom aktuellen direkt und gelegentlich zeitgleich als Video verdoppelt, bei dem die Zuschauer sich selbst zuschauen.

Wer ist Darsteller, wer Performer seiner selbst? Mata Sakka aus Griechenland ist das weiche Kraftzentrum der Aktionen, stellt selbstironisch ihren beweglichen Körper aus (“I can be so soft”), macht sich selbstbewusst lustig über die kämpferische Selbstbehauptung der beiden Jungs, erzählt, wie sie sich ins weiße Knie einer Pariser Hure verknallt hat. Joris Camelin aus Frankreich spielt lustvoll mal den Latin Lover und mal das überforderte Weich-Ei. Die beiden hervorragenden Tänzer sind übrigens auch bekannte Gesichter mit gemischten Gefühlen in der CocoonDance-Produktion “Wait to be seated”.

Der deutsche Choreograph und Regisseur Jörg Lukas Matthaei hechelt abgedroschene Anekdoten (“ein Schauspieler ging von der Bühne in den Zuschauerraum und kam nie zurück”) und postdramatische Binsenweisheiten (“vom Zuschauer, der selbst gestalten will, was er sieht”) herunter, mischt sich gelegentlich nuschelnd ins Geschehen ein, gibt Rhythmen vor, bastelt an Apparaten und klinkt sich dann lässig wieder aus.

Übers Handy lässt er sich nach 24 Minuten von einer anonymen Stimme scheinbar private Anweisungen fürs Weitergehen der restlichen 30 Minuten geben, wühlt in Manuskripten und verabschiedet sich dann gleich für eine knappe Viertelstunde ins leere Foyer.

Was nach Improvisationen im frühen Stil von Sasha Waltz aussieht, ist jedoch ein präzises Konstrukt. Ab und zu finden alle zum exakten Gleichklang und virtuosen Gleichschritt in skurrilen Formationen, ab und zu driften sie wie Illustrationen der dekonstruktivistischen Theorie auseinander: Lustvoller Derridada mit Spiegelfiguren à la Barthes, Gesichtsfeldverschiebungen aus dem Baukasten der Gehirnforschung, liebloser Ich-Performance im Mainstream der Elementarteilchen mit ein bisschen welkem Grünzeug am Rand und Walzer-Ohrwurm im Kopf (sanft aus dem Takt gebracht von Schostakowitsch), bei dem niemand so recht weiß, wo der gegenseitige Beifall anfängt und die Zeitschleife des immer enger geführten Sturmlaufs aufhört oder nur noch auf der Stelle tritt.

Festlich gestimmter Beifall.

BONNER GENERALANZEIGER, 20.06.2005